Neuß-Grevenbroicher Zeitung, Samstag, 24. Mai 2003 S.32

Konzert mit dem amerikanischen Orgelprofessor Craig Cramer in Dreikönige

Mit Beifall für über 3000 Pfeifen

Neuss. Die aufwendigen Arbeiten, die mit Sanierung, Ausbau und Neuinton­ation der Walcker/Klais-Orgel in der Neusser Dreikönigenkirche verbunden waren, haben zu einem originellen und hochinteressanten Instrument ge­führt, dessen Vielseitigkeit und Klang eine enorme Bereiche­rung in der rhei­nischen Orgellandschaft darstellt. Das gilt nicht nur für die Gottesdienstge­staltung, sondern vielmehr für konzer­tante Feierstun­den. Jetzt war Craig Cramer, Orgelprofessor an der India­na-University of Notre Dame (USA) zu Gast in Heilige Dreikönige — und er war von dem Instrument begeistert.

Zur Einführung spielte er volltönend auf mit einer mächtigen „Fanfare“ von John Cook (1918-1984), der diesem Stück einen Psalmvers vor­angestellt hatte: „Jauchzet Gott zu, unserer Kraft!“. Bei abwechslungsreicher Dis­position standen auch im ruhigen Mit­telteil Cornett, Clairon und Trompete im Vordergrund. Lyrisch-liedhaft ge­staltete Cramer zwei Choralbearbei­tungen von der „größten britischen Komponistin“ Ethel Smyth (1858-1944), die vor allem in Präludi­um und Fuge über „0 Traurigkeit, o Herzeleid“ eine nahezu meditative Sei­te von sich zeigte. Möglich, dass sie die­se Musik im Gefängnis schrieb, denn die vor allem durch ihre Opern und den „March of the women“ be­kannte Fe­ministin saß dort öfter ein, weil sie zum Beispiel einem britischen Minister die Fensterscheiben einwarf.

Das war auch das Reizvolle an Craig Cramer‘s Konzert in Dreikönige, dass er überwiegend Werke vorstellte, die man noch nicht gehört hatte. So zum Beispiel eine Suite über „Puer natus est“ (1999) des in New Orleans leben­den Organisten Joel Martinson, der in vier abwechslungsrei­chen Sätzen dem immer durchklingenden Weihnacht­schoral sphärische Atmosphäre oder im Schluss-Gloria strahlenden Glanz verleiht. Oder die Variationen über ei­ne „Shape-note Hymn“ des vor allem in unseren Konzertsälen bekannten Ame­rikaners Samuel Barber (1910-1981). Obwohl erst relativ spät geschrieben (1958), bedient Barber sich der Formu­lierungen und Tonalität des 19. Jahr­hunderts, die Hymne kommt ganz ver­halten daher.

Dass Craig Cramer aber auch die Li­teratur der europäischen Meister ganz sicher beherrscht, dokumentierte er mit Johann Sebastian Bachs „Fantasie und Fuge g-moll“ zur Programmmitte und zum Ende mit Felix Mendelssohn Bartholdys großer „Sonate 1 f-moll“. Wunderbar über­gangslos gelangen Cramer die choralartigen Einschübe „Was mein Gott will“ in deutlich abge­setzter Registrierung, und die vielen Läufe, gebro­chenen Akkorde und Ar­peggien des letzten „Allegro assai“ be­herrschte er in virtuoser Manier. Dem nachhaltigen Beifall der Zuhörer schloss sich Cramer in einer bemer­kenswerten Geste an: Er applaudierte den beiden Orgelprospekthälften mit ihren über 3000 Pfeifen. Warum er dann aber als Zugabe ein karges, wenig galantes Stückchen von Christian Heinrich Rinck (1770-1846) wählte, blieb rätselhaft ...            Nima